Quelle: Heimatzeitung/ Reichenhaller Tagblatt, Text und Bilder von Hans Joachim Bittner
Geschichte erlebbar gemacht – Dauerausstellung „Säulen der Zeit“ an der Mittelschule St. Zeno mit Festakt eröffnet.
Jeder Jugendliche, der künftig an die Mittelschule St. Zeno kommt, wird in seiner gesamten Schulzeit 5000 bis 7000 Mal am neuen Projekt „Säulen der Zeit“ vorbeigehen. „Die Bilder werden sich ganz automatisch bei den Schülern einbrennen, sie werden sich das Wesentliche der jeweiligen Person merken“, sagt Initiator Andreas Edel. „Und damit haben wir schon ein Ziel der Aktion erreicht“. Inspiriert wurden er und sein Lehrerkollege Ingo Neumüller auch von einem Satz Helmut Kohls, ausgesprochen 1995 im Bundestag: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“ Die grundsätzliche Idee entstand, als ein Schüler vor dem Portrait von Joachim Gauck stand und ihn für den Reichenhaller Oberbürgermeister hielt. „Da wussten, wir, dass wir was machen müssen“, so Edel.
Wer aus dem WC der Mittelschule im ersten Stock kommt, sieht nun als erstes das Bild des schlimmsten Despoten, den diese Welt je erleben musste: Adolf Hitler. Die beiden „Säulen der Zeit“-Initiatoren Andreas Edel (Klassenleiter der 7b) und Ingo Neumüller (5b) versichern, dass dieser Ausstellungsplatz reiner Zufall ist. Pure Absicht ist es jedoch – wie beide ebenfalls betonen –, dass der Holocaust- und letztlich für 80 Millionen Tote Verantwortliche eine Säule für sich allein erhielt. „Wir wollten nicht, dass irgendjemand zu nah an Hitler hängt und damit nicht irgendwelche Vergleiche gezogen oder gar Assoziationen gebildet werden können“, sagt Neumüller. Gleich danach folgt der Widerstand mit Sophie Scholl und Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
Die beiden Lehrer sind sehr an Politik und Geschichte interessiert. Sie stellten sich im Frühjahr 2016 die Frage, wie sie ihren Schülern die Personen, die in der Geschichte eine wichtige Rolle – egal ob positiv oder negativ behaftet – gespielt haben, näherbringen können. In letztlich einem Jahr intensiver Arbeit, viel Aufwand und Herzblut entstand ein von Anfang an von Schulleiter Christian Schneider unterstütztes Konzept, ein „Rundgang durch unsere Geschichte und Gegenwart“: Ein Portrait, die Lebensdaten des Menschen, der gezeigt wird, dazu ein Satz oder ein Zitat. Beides muss nicht selbsterklärend sein: „Denn dadurch regen wir unsere Schüler zum Forschen an, zum Nachdenken“, so Edel, der weiter informiert: „Nach dem neuen Lehrplan sollen die Schüler die Kompetenz erhalten, zu forschen“.
„History-Man“ weist den Weg
Edel und Neumüller entwickelten ein übersichtliches, leicht verständliches System, jede Jahrgangsstufe erhielt eine eigene Farbe. Die Initiatoren mussten die Sätze oft überarbeiten, das Farbsystem ändern, weil sich durch den Lehrplan plus Verschiebungen ergaben. Die Bilder, die an den Säulen im Erd- und im Obergeschoß angebracht wurden, zeigen jene Personen, die Lehrplan-Bezug besitzen und die Kinder im Unterricht kennenlernen. Ein Schüler der heurigen 7. Jahrgangsstufe weiß beispielsweise, dass er allen Personen, die auf den Bildern grün hinterlegt sind, in diesem Schuljahr im Unterricht begegnen wird. Als Wegweiser dienen Hinweisschilder mit einem „History-Man“ als Logo, entworfen von Celine Stöckl aus der Klasse 10 aM. Er führt die Betrachter durch die dauerhaft angedachte, aber keinesfalls starre Ausstellung: „Sie soll wachsen und auch immer wieder verändert werden“, wünscht sich Neumüller.
Zu den nun 109 bestehenden Bildern, 69 davon mit Lehrplan-Bezug, die zum Schulbeginn angebracht wurden, kommen zwei Exkurse – ebenfalls auf den beiden Etagen: Dabei sollen stets 40 Personen ohne Lehrplan-Bezug gezeigt werden. „Das war uns auch wichtig“, so Edel. 20 wählten er und sein Kollege bereits aus, 20 weitere sollten die Gäste am Eröffnungsnachmittag vorschlagen. Die Initiatoren wünschten sich dabei, dass eher Frauen zum Zuge kommen, weil die Ausstellung bislang sehr Männer-lastig ist. „Das bringt die Geschichte freilich mit sich, weil Frauen für politische Entscheidungen früher einfach noch nicht so wichtig waren“, sagt Neumüller. Die Exkurse sollen immer wieder verändert werden: „Bekommen wir beispielsweise eine deutsche Nobelpreisträgerin in Medizin, würde sie natürlich hier mit einem Bild berücksichtigt werden“, so Neumüller.
Den Titel „Säulen der Zeit“ legten die beiden Lehrer an Ken Folletts „Die Säulen der Erde“ an. Die Pfeiler in der Aula der Mittelschule standen für die Namensgebung der Ausstellung quasi perfekt Pate. Das erste Bild zeigt Tutanchamun, das letzte Helmut Kohl, zwischen den beiden liegen fast 3350 Jahre Geschichte.
Die schwierigste Aufgabe war für die Lehrer die Formulierung des einen Satzes oder des einen Zitates unter dem jeweiligen Portrait. „Denn wie kann man einen Menschen in nur einem Satz so beschreiben, um ihm auch bestmöglich gerecht zu werden?“, fragt Edel. Letztlich stellte sich grundsätzlich erst einmal die Frage, ob eine Person in positivem oder negativen Licht erscheinen sollte. „Das ist oft gar nicht so einfach, und wir haben es uns auch ganz bewusst nicht einfach gemacht“, bestätigt Neumüller. Grundtenor und erste Absicht war es jedoch immer, das Interesse der Schüler zu wecken und ihren Forscherdrang zu animieren.
Referate sollen Filme ersetzen
20 Bilder sind bereits mit kostenlos herunterzuladenden QR-Codes bestückt. Dahinter verbergen sich interessante You Tube-Filme zur jeweiligen Person. In diesem Fall ist das Handyverbot für die Schüler aufgehoben – hier sollen sie sogar damit arbeiten und Referate zusammenstellen. Die besten Vorträge sollen künftig über den MP3-Player eingesprochen werden und schließlich als weitere Aktion nach dem Motto „von Schülern für Schüler“ über den QR-Code abrufbar sein. Diese Referate werden die Videos ersetzen. Das gilt für alle Bilder und stellt bereits jetzt – wie die Lehrer versichern – eine große Motivation dar: „Denn die Schüler wissen, hier berücksichtig zu werden, wenn sie ein gutes Referat abliefern. Das spornt an“, so Edel.
Die Bilder sind durchnummeriert: „Denn wir haben für unser Lehrerkollegium Handbücher erstellt – über jede Person bis zu fünf Seiten“, beschreibt Edel die Arbeit, die in erster Linie Ingo Neumüller übernahm. Damit haben die Lehrkräfte die Möglichkeit, sich im Vorfeld über die jeweilige Person zu informieren und somit mehr Hintergrundwissen als die Schüler zu besitzen. Edel und Neumüller wollen aufklären und mit so manchen Irrglauben aufräumen: „Thomas Edison hat nicht die Glühbirne erfunden. Das war ein deutscher Uhrmacher. Edison war nur so schlau, das Patent anzumelden. Carl Benz hat nicht das Auto erfunden, sondern das erste praxistaugliche, Erich Kästner war lange Zeit kein Kinderbuch-Autor“, so Edel Er beschäftigte sich lange mit der Person Oskar Schindler. Irgendwann gelang es ihm sogar eine Farbkopie der Liste mit allen Geretteten zu erhalten, die in den Handbüchern abgelegt ist. „Wenn man die Namen liest, bekommt man eine Gänsehaut“.
20 Bilder zeigen Personen, die keinen Lehrplan-Bezug besitzen: Bill Gates beispielsweise als einer der wenigen noch Lebenden unter den berücksichtigten Menschen. Ganz am Ende hängt ein Spiegel mit der Aufschrift „Du?“. Dazu sagt Ingo Neumüller: „Keiner von den Menschen, die hier hängen, hat gewusst, was einmal aus ihm wird. Darum der Spiegel – denn jeder die Chance, etwas aus sich machen“.
Die beiden Initiatoren geben auf Wunsch alles kostenfrei digital weiter: „Das Projekt soll sich nicht nur auf unsere Schule konzentrieren, sondern vielen Schülern in ganz Deutschland zugänglich gemacht werden“, sagt Edel, eine Schule in Brandenburg hat bereits Interesse bekundet. Die „Säulen der Zeit“ könnten darüber hinaus ein Thema für die Polizeischule in Ainring oder das Landratsamt sein. Es ist eine Aktion für die Allgemeinbildung – auch für Erwachsene. „Ein didaktischer wie praktischer Lichtblick“, lobte Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber zum Abschluss des Festaktes.
Bilder: Feierliche „Säulen der Zeit“-Eröffnung (von links): Initiator Ingo Neumüller, Sparkassen-Vorstandsvorsitzender Helmut Grundner, Initiator Andrea Edel, Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, Schulamtsdirektor Klaus Biersack, Oberbürgermeister Dr. Herbert Lackner, Schulleiter Christian Schneider und Sparkassen-Vorstand Alexander Gehrig.
Ingo Neumüller präsentierte eine Krawatte mit „History-Man“-Logo.
Blick in Schindlers Liste – als Zweiter von unten aufgeführt: Itzhak (Isak) Stern, polnisch-israelischer Überlebender des Holocaust.
Exkurs-Wand mit 19 Portraits von Menschen der Geschichte ohne Lehrplan-Bezug.